Schwerbehinderung im Arbeitsrecht: Anwalt, Rechtsanwalt, Fachanwalt Arbeitsrecht Tilo C.L. Neuner-Jehle Stuttgart - informiert und berät Sie spezialisiert und qualifiziert
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Schwerbehinderung im Arbeitsrecht
Anwalt, Rechtsanwalt, Fachanwalt Arbeitsrecht Tilo C.L. Neuner-Jehle aus der NJR Anwalts- und Fachanwaltskanzlei Neuner-Jehle - Stuttgart - informiert und berät Sie spezialisiert und qualifiziert im Arbeitsrecht:
Sonderkündigungsschutz bei Schwerbehinderung:
Kündigung eines Schwerbehinderten
Vor Ausspruch einer Kündigung gegenüber einem Schwerbehinderten mit dem Grad ab 50 % oder einem ihm Gleichgestellten, muss der Arbeitgeber die Zustimmung zur Kündigung beim zuständigen Integrationsamt einholen.
Achtung:
Dies gilt im Übrigen auch beim Kleinbetrieb, also Betrieben unter 10 Arbeitnehmer !!!
Dem Integrationsamt obliegen Aufklärungspflichten, die hoch zu gewichten sind. Ist der Gesundheitszustand des Schwerbehinderten nicht hinreichend aufgeklärt, so muss das Integrationsamt hierzu ein Sachverständigengutachten einholen (Bayerischer VGH)
Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor Kündigung des Schwerbehinderten
Verhaltensbedingte Kündigung und ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung
Urteil des BAG vom 13.12.2018 -2 AZR 378/18-, NZA 2019, 305-
- Die Schwerbehindertenvertretung ist von jeder Beendigungs- und Änderungskündigung zu beteiligen. Das gilt auch für Kündigung in der Wartezeit des § 1 I KSchG. § 90 I Nr. 1 SGB IX a.F. (§ 173 I 1 Nr. 2 SGB IX n.F.) findet weder direkte noch analoge Anwendung.
- Die Unwirksamkeitsfolge des§ 95 II 3 SGB IX a.F. (§ 178 II 2 SGB IX n.F.) greift nicht ein, wenn der Arbeitgeber “lediglich“ die Mitteilungspflicht nach § 95 II 1 Hs 2 SGB IX a.F. (§ 178 II 1 Hs 2 SGB IX n.F.) verletzt.
- Zur Abwendung der Unwirksamkeitsfolge genügt es nach § 95 II 1 Hs. 1 und 2 SGB IX a.F., wenn der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß anhört. Die Anhörung muss nicht schon vor der Beteiligung des Betriebs- bzw. Personalrats oder vor dem Antrag auf Zustimmung an das Integrationsamt erfolgen.
- An einer ordnungsgemäßen Anhörung der Schwerbehindertenvertretung fehlt es, wenn diese schon nicht ausreichend unterrichtet worden ist. Die Unterrichtung muss die Schwerbehindertenvertretung in die Lage versetzen, auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken. Es gelten die gleichen Grundsätze wie für die Unterrichtung des Betriebsrats nach § 102 I BetrVG. Der notwendige Unterrichtungsinhalt ist nicht auf „schwerbehindertenspezifische Kündigungsbezüge“ reduziert.
- An einer ordnungsgemäßen Anhörung der Schwerbehindertenvertretung mangelt es auch, wenn diese zwar ausreichend unterrichtet worden ist, aber keine genügende Gelegenheit zur Stellungnahme hatte. Hinsichtlich der Stellungnahmefristen findet § 102 II BetrVG analoge Anwendung. Eine entsprechende Anwendung der Fristenregelung in den gegebenenfalls einschlägigen Personalvertretungsgesetzen scheidet aus.
- § 95 II 3 SGB IX a.F. stellt einen sonstigen, zumindest auch den Arbeitnehmer schützenden Unwirksamkeitsgrund dar, der einen arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag nach § 9 I 2 KSchG „sperrt“.
Benachteiligung wegen nicht einladen zum Bewerbungsgespräch
Einladung eines Schwerbehinderten zum Vorstellungsgespräch
BAG Urt.v. 27.08.20 -8 AZR 45/19- NZA 2021, 200
Nach nach§ 82 S. 2 SGB IX ist der öffentliche Arbeitgeber verpflichtet, eine/n schwerbehinderte/n Bewerber/in - sofern die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlt- zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Hierdurch sollen schwerbehinderte Bewerber/innen die Möglichkeit erhalten, ihre Chancen im Auswahlverfahren zu verbessern, insbesondere soll die Chance gegeben sein, den Arbeitgeber von ihrer Eignung zu überzeugen.
Benachteiligung wegen nicht einladen zum Bewerbungsgespräch
BAG, Urteil vom 23.1.2020 – 8 AZR 484/18- = BeckRS 2020, 802 = NJW Spez. 2020, 436
Unterlässt es der öffentliche Arbeitgeber, einen fachlich nicht offensichtlich ungeeigneten Schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, begründet dies die widerlegbare Vermutung im Sinne von § 22 AGG, dass der Bewerber wegen seiner Behinderung nicht eingestellt wurde.
Keine Beschäftigungsgarantie für Menschen mit Schwerbehinderung
BAG, Urteil vom 16.05.2019, AZ: -6 AZR 329/18-
Schwerbehinderte können in einem bestehenden Arbeitsverhältnis nach § 164 IV SGB IX von ihrem Arbeitgeber bis zur Grenze der Zumutbarkeit die Durchführung des Arbeitsverhältnisses entsprechend ihrer gesundheitlichen Situation verlangen. Hieraus ergibt sich jedoch für schwer behinderte Menschen keine Beschäftigungsgarantie. Im Falle der Arbeitgeber eine unternehmerische Entscheidung trifft, die den bisherigen Arbeitsplatz des Schwerbehinderten durch eine Organisationsänderung entfallen lässt, so kann dies auch eine Kündigung des Schwerbehinderten rechtfertigen. Der besondere Beschäftigungsanspruch des Schwerbehinderten ist in diesem Fall erst bei der Prüfung etwaiger weiterer Beschäftigungsmöglichkeiten auf einem anderen freien Arbeitsplatz zu berücksichtigen.
Ab der Änderung des SGB X am 30.11.16 wird der schwerbehinderte Mensch weiter vor einer arbeitgeberseitigen Kündigung geschützt:
- Zunächst ist vor Ausspruch der Kündigung eines Schwerbehinderten die Schwerbehindertenvertretung anzuhören (§ 95 II S. 3 SGB X. Dies ist erste Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung und muss auch im Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt von diesem geprüft werden. Diese Anhörungspflicht besteht ab dem ersten Tage des Arbeitsverhältnisses !
- Die Schwerbehindertenvertretung muss sich bei einer ordentlichen Kündigung innerhalb einer Woche äußern, bei einer außerordentlichen Kündigung innerhalb von 3 Tagen. Wird eine Stellungnahme nicht abgegeben, so kann der Arbeitgeber die nächsten Schritte einleiten.
- Kennt der Arbeitgeber jedoch die Schwerbehinderung nicht, kann er weder die Schwerbehindertenvertretung anhören, noch Zustimmung beim Integrationsamt einholen. Hat der Arbeitgeber den Schwerbehinderten gekündigt, so muss dieser den Arbeitgeber binnen 3-er Wochen ab Zugang der Kündigung über die Schwerbehinderung informieren, anonsten wird die Kündigung wirksam.
- Liegt eine Stellungnahme des Schwerbehindertenausschusses vor, oder ist die Stellungnahmefrist abgelaufen, so muss der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung zum einen den Betriebsrat (soweit vorhanden) anhören und beim Integrationsamt das Zustimmungsverfahren (zur Kündigung) einleiten. Nach herrschender Meinung spielt die Reihenfolge hier keine Rolle. Beide Verfahren können nebeneinander oder paralell betrieben werden.
Zustimmung des Integrationsamts bei Insolvenz und Betriebsübergang gem. § 613a BGB
Hat das Integrationsamt gegenüber einem Insolvenzverwalter Zustimmung zur Kündigung des Schwerbehinderten erteilt und der Betrieb geht sodann gem. § 613a BGB auf einen Betriebserwerber über, nützt diesem der Zustimmungsbescheid an den Insolvenzverwalter nichts mehr. Dieser hat vor dem Integrationsamt erneut ein Zustimmungsverfahren einzuleiten (BAG Urt.v. 15.11.12 -8 AZR 827/11).
Behindertengerechter Arbeitsplatz
Das Integrationsamt stimmt einer beabsichtigten Kündigung des Arbeitgeber nur zu, wenn er zuvor Sorge für einen behindertengerechten Arbeitsplatz getragen hat (soweit ein solcher aufgrund der Behinderung entsprechend ausgestaltet werden kann). Nur, wenn solche Maßnahmen nicht möglich sind, ist eine Zustimmung zur Kündigung zu erteilen (LAG Berlin-Brandenburg Urt.v. 05.06.14 -26 Sa 472/14)
Kündigung während des Antrags auf Schwerbehinderung
Wurde vom Arbeitnehmer ein Atrag auf Schwerbehinderung oder Gleichstellung gestellt und erhält er sodann eine arbeitgeberseitige Kündigung, so muss sein Antrag bereits länger als 3 Wochen vor dem Erhalt der Kündigung gestellt worden sein (LAG Hessen Urt.v. 24.03.14 -16 Sa 1239/13-) um im Kündigungsschutzprozess noch den besonderen Kündigungsschutz eines Schwerbehinderten einwenden zu können.
In diesem Falle ist dem Arbeitsgericht im Kündigungschutzprozess mitzuteilen, dass länger als 3 Wochen vor Erhalt der Kündigung Antrag auf Schwerbehinderung gestlelt wurde, wie auch der Antrag in Kopie beizulegen.
Im Falle zunächst ein Antrag auf Schwerbehinderung gestellt wurde und sogleich nach dessen Ablehnung oder lediglicher Teilstattgabe Antrag auf Gleichstellung, so wird auf das Datum des Gleichstellungsantrags abgestellt, d.h. auch dieser muss mindestens drei Wochen vor Erhalt der Kündigung gestellt worden sein (LAG Hessen a.a.O.)
Antrag auf Schwerbehinderung rechtzeitig stellen !
Aufgrund der o.g. 3-Wochenfrist erscheint sinnvoll den Antrag auf Schwerbehinderung rechtzeitig zu stellen, d.h. sobald Anzeichen erkennbar sind, dass eine mögliche Kündigung droht. Dies kann durch eine Information des Betriebsrats erfolgen, dies können Anzeichen für eine Insolvenz sein, oder sonstige erhebliche betriebliche Veränderungen (auch Betiebsverlagerung).
Fragerecht des Arbeitgebers nach Schwerbehinderung ?
Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.12.12 (-6 AZR 553/10-) hat sich die Rechtslage hierdeutlich geändert:
Der Arbeitnehmer hat bereits im Rahmen seiner Bewerbung auf seine Schwerbehinderung hinzuweisen, wenn er sich zu einem späteren zeitpunkt auf den besonderen Kündigungschutz der Schwerbehinderten berufen möchte. Hieraus ergibt sich, dass ein Arbeitgeber selbst in einem Bewerbungsgespräch auf eine Frage nach einer Schwerbehinderung wohl wahrheitsgemäß antworten muss.
Im bestehenden Arbeitsverhältnis ist die Frage des Arbeitgebers nach einer Schwerbehinderung ebenfalls zulässig und muss wahrheitsgetreu beantwortet werden. Im Falle jedoch die 6-monatige Probezeit noch nicht abgelaufen ist, dürfte der Schutz des Schwerbehinderten überwiegen, eine solche Frage nicht oder falsch zu beantworten.
Das BAG hat in seinem Urteil v. 16.02.12 -6 AZR 553/10- ausgeführt, dass die Frage nach einer Schwerbehinderung vom Arbeitnehmer wahrheitsgetreu zu beantworten ist und diesen im Hinblick auf seine Schwerbehinderung nicht i.S.v. § 3 Abs. 1 S. 1 AGG diskriminiert.
Sonderkündigungsschutz nach § 90 II a SGB IX:
- Personen mit besonderem Kündigungsschutz
- - bei Offensichtlichkeit gem. § 69 II SGB IX
- - die im Besitz eines Feststellungsbescheides über einen Grad der Behinderung von mind. 50 % sind
- - die im Besitz eines solchen Bescheides von 30 oder 40 % sind und eines Gleichstellungsbescheides der Agentur für Arbeit
- - die einen Antrag auf Feststellung der Behinderung (einschl. Antrag auf Höherbewertung des GdB) beim Versorgungsamt gestellt haben, die Frist des § 14 SGB IX abgelaufen ist und die ihre Mitwirkungspflichten nicht schuldhaft verletzt haben (und die später als Schwerbehinderte anerkannt werden)
- - die eine Gleichstellung beantragt haben mit einem anerkannten GdB von 30 oder 40 (und deren Gleichstellung später festgestellt wurde).
- Keinen besonderen Kündigungsschutz haben hingegen Personen:
- - die im Besitz eines Feststellungsbescheides mit einem GdB von wendiger als 50 sind und keinen Antrag auf Höherbewertung gestellt haben.
- - die sich im Widerspruchs- bzw. Klageverfahren gegen das Versorgungsamt befinden
- - die sich im Antragsverfahren beim Versorgungsamt befinden und die Frist des § 14 SGB IX noch nicht abgelaufen ist
- - die sich im Antragsverfahren beim Versorgungsamt befinden, die Frist des § 14 SGB IX abgelaufen ist und die Verzögerung auf vom Antragsteller zu vertretender fehlender Mitwirkung beruht.
Schwerbehinderung, Kündigungsschutz und Probezeit
Schwerbehinderung, Kündigungsschutz und Probezeit
Der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen (ab einem Grad der Behinderung von 50 % oder 30 % und Gleichstellung) beginnt erst dann, wenn der Schwerbehinderte schon länger als 6 Monate (ohne Unterbrechung) in einem Arbeitsverhältnis steht.
Durch die neue Regelung in § 1 KSchG beginnt der Kündigungschutz für neu eingestellte und schwerbehinderte Mitarbeiter unabhängig von tariflichen, betrieblichen und vertraglich vereinbarten Probezeiten erst ab dem 7. Monat der Tätigkeit.
Ebenso gelten in den ersten 6 Monaten vereinbarte kürzere Kündigungsfristen.
Ist mit einem Schwerbehinderten neu eingestellten Mitarbeiter eine Probezeit von nur drei Monaten vereinbart, gilt somit der Kündigungsschutz für Schwerbehinderte dennoch erst ab dem 7. Monat seiner Tätigkeit.
Sonderkündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch - Betriebsratsanhörung
Sonderkündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch - Betriebsratsanhörung
BAG Urt.v. 22.09.2016 -2 AZR 700/15- NZA 2017, 304
- Das Recht des Arbeitnehmers, sich erstmalig nach Zugang der Kündigung auf eine Schwerbehingerung und damit auf den Sonderkündigungsschutz gem. § 85 ff SGB IX zu berufen, unterliegt der Verwirkung (§ 242 BGB). Als Maßstab für die Rechtzeitigkeit der Mitteilung ist von der 3-Wochen-Frist des § 4 S.1 KSchG auszugehen. Hinzuzurechnen ist die Zeitspanne, innerhalb derer der Arbeitnehmer den Zugang der Informationen beim Arbeitgeber zu bewirken hat. Ein Berufen auf den Sonderkündigungsschutz innerhalb dieses Zeitraums ist regelmässig nicht als illoyal verspätet anzusehen. Hierbei dar es dem Arbeitnehmer auch nicht zum Nachteil gereichen, wenn er - etwa aus Beweiszwecken - eine schriftliche Mitteilung wählt.
- Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat auf eine vor Zugang der Kündigung veränderte Sachlage hinweisen, wenn die Unterrichtung nach § 102 I 2 BetrVG andernfalls irreführend wäre. Dies gilt bei wesentlicher Änderung des bislang als für den Kündigungsentschluss maßgeblich dargestellten Sachverhalt selbst dann, wenn das Anhörungsverfahren bereits abgeschlossen ist.
- Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung auf Antrag des Arbeitgebers nach § 9 I 2 KSchG kommt nur in Betracht, wenn eine ordentliche Kündigung allein aufgrund ihrer Sozialwidrigkeit und nicht aus anderen Gründen i.S. von § 13 III KSchG rechtsunwirksam ist.
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung
BAG Beschl.v. 15.10.2014 -7 ABR 71/12- = BeckRS 2014, 74402 = NJW-Spezial 2015, 83
Das Unterrichtungs- und Anhörungsrecht der Schwerbehindertenvertretung umfasst die Teilnahme am Auswahlverfahren und an den Vorstellungsgesprächen auch dann, wenn der Bewerber nach Begründung des Arbeitsverhältnisses einem Dritten im Wege der Personalgestellung zugewiesen werden soll.
Anm.:
Von der Rechtsprechung wird eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft vermutet, wenn die Schwerbehindertenvertretung beim Auswahlverfahren von Bewerbern nicht ordnungsgemäß beteiligt wird, wenn diese nicht über den Eingang der Bewerbung eines Schwerbehinderten unterrichtet wird.
Sonderkündigungsschutz bei Schwerbehinderung
Sonderkündigungsschutz bei Schwerbehinderung
BAG Urt.v. 29.11.07 –2 AZR 613/06- NZA 2008361
Der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen findet nach § 90 II a SGB IX nur dann Anwendung, wenn die in § 69 I 2 SGB IX bestimmte 3-Wochenfrist bei Kündigungszugang verstrichen ist, d.h. der Arbeitnehmer muss zunächst den Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt haben.
Fristlose Kündigung eines schwerbehinderten Menschen –Kündigungserklärungsfrist
Fristlose Kündigung eines schwerbehinderten Menschen –Kündigungserklärungsfrist
BAG Urt. v. 21.04.05 NZA 2005, 991
Stempelt ein Arbeitnehmer seine Arbeitszeit bewußt nicht richtig, ist dies an sich geeignet, eine fristlose Kündigung, auch ohne vorige Abmahnung, zu rechtfertigen. Die Kündigung muß dem schwerbehinderten Arbeitnehmer unverzüglich nach Kenntnis von der Zustimmung des Integrationsamtes bzw. Widerspruchsausschusses zugehen; die (fern-)mündliche Auskunft durch das Amt/den Ausschuss genügt.
Hierdurch ist zwar ggf. die 2-Wochenfrist des § 626 II BGB nicht eingehalten, dies ist jedoch dann unschädlich, wenn unverzüglich nach Kenntnis der Erteilung der Zustimmung gekündigt wird.
Wichtig ist hier jedoch zu beachten, dass die fernmündlich erlangte Kenntnis genügt, ein Abwarten auf den schriftlichen Bescheid kann zur Versäumung der Frist führen.
Weiter ist davon auszugehen, dass die Untergerichte bei einmaliger „Falschstemelung“ eine fristlose Kündigung ohne vorige Abmahnung wohl nicht als gerechtfertigt ansehen werden.
AGG - Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft
AGG - Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft
BAG Urt.v. 18.09.2014 -8 AZR 759/13- = BeckRS 2014, 73585 = NJW-Spezial 2015, 82
Bewirbt sich ein Arbeitnehmer mehrfach hintereinander bei demselben Arbeitgeber, muss er seine Schwerbehinderteneigenschaft in jeder Bewerbung erneut offenlegen, soweit er diese im Bewerbuingsverfahren berücksichtigt haben möchte.
Anm.:
Hier wird die Grenze zum AGG-Hopping durch das Bundesarbeitsgericht aufgezeigt.
Schwerbehinderung –Rückwirkende Gleichstellung und Kündigung
Schwerbehinderung –Rückwirkende Gleichstellung und Kündigung
LAG Rheinland-Pfalz Urt. v. 12.10.05 NZA-RR 2006-186
Stellt ein behinderter Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Kündigung einen Antrag auf Gleichstellung, so greift der gesetzliche Sonderkündigungsschutz, selbst im Falle der rückwirkenden Stattgabe des Antrags frühestens drei Wochen nach Antragstellung ein
Anmerkung:
Hier wird dem Umstand Rechnung getragen, dass häufig der Gleichstellungsantrag gestellt wird, wenn der Arbeitnehmer davon hört, dass ihm gekündigt werden soll. Wird der Antrag jedoch allein aus diesem Grunde gestellt, ist er „rechtsmissbräuchlich“.
Andererseits wird durch diese Entscheidung der Arbeitgeber begünstigt, welcher schnell auf einen solchen Antrag reagiert.
Wie sich hierzu das BAG auslässt, bleibt abzuwarten.
Diskriminierung wegen Schwerbehinderung
Diskriminierung wegen Schwerbehinderung
BAG Urt. v. 15.02.05 NZA 2005, 870
- Gegen die Regelung in § 81 II 2 Nr. 3 S. 1 SGB IV, nach der ein wegen seiner Schwerbehinderung diskriminierter Bewerber, der auch benachteiligungsfreier Auswahl die Stelle nicht erhalten hätte, Anspruch auf Entschädigung von bis zu drei Monatsentgelten hat, bestehen keine verfassungsrechtliche Bedenken.
- Die Einhaltung der Ausschlußfrist des § 81 II 2 Nr. 4 SGB IX zur Geltendmachung einer Entschädigung wegen Diskriminierung setzt nicht die Angabe einer bestimmten Forderungshöhe voraus.
- Der schwerbehinderte Bewerber kann eine Beweislastverschiebung herbeiführen. Voraussetzung ist, dass er Hilfstatsachen darlegt und gegebenenfalls unter Beweis stellt, die eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft vermuten lassen.
- Steht fest, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung entgegen des § 81 I 4 SGB IX nicht über die eingegangenen Bewerbung eines bestimmten schwerbehinderten Menschen unterrichtet hat, so ist dessen Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft zu vermuten.
Kündigung eines Schwerbehinderten durch den Betriebserwerber
Kündigung eines Schwerbehinderten durch den Betriebserwerber
BAG Urt.v. 15.11.2012 -8 AZR 827/11- NZA 2013, 505
Hat der Insolvenzverwalter vor Eintritt eines Betriebsübergangs beim Integrationsamt Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers beantragt, so kann sich der Betriebserwerber, der diesem Arbeitnehmer kündigen will, nicht wirksam auf den Zustimmungsbescheid berufen, der nach dem Betriebsübergang nur dem Insolvenzverwalten zugestellt worden ist.
Betriebsübergang – Kenntnis des Erwerbers von der Schwerbehinderteneigenschaft des übernommenen Arbeitnehmers
Betriebsübergang – Kenntnis des Erwerbers von der Schwerbehinderteneigenschaft des übernommenen Arbeitnehmers
BAG Urt.v. 11.12.08 NJW 2009,2153
Im Falle des Betriebsübergangs nach § 613 a BGB muss sich der Betriebsübernehmer die Kenntnis des Betriebsveräußerers von der Schwerbehinderteneigenschaft eines Arbeitnehmers zurechnen lassen.
Unverzüglichkeit der Kündigung eines Schwerbehinderten nach Zustimmung des Integrationsamts
Unverzüglichkeit der Kündigung eines Schwerbehinderten nach Zustimmung des Integrationsamts
BAG Urt.v. 19.04.2012 -2 AZR 118/11- NZA 2013, 507
- Ist nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamts die 2-Wochen-Frist des § 626 II 1 BGB bereits abgelaufen, verlangt § 91 V SGB IX die unverzügliche Erklärung einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber. Die Zustimmung zur Kündigung ist i.S. von § 91 V SGB IX "erteilt", sobald das Integrationsamt eine solche Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 III 1 SGB IX getroffen und den antragstellenden Arbeitgeber hierüber in Kenntnis gesetzt, oder wenn es innerhalb der Frist des § 91 III 1 SGB IX keine Entscheidung getroffen hat. In diesem Fall gilt die Zustimmung mit Ablauf der Frist gem. § 91 III 2 SGB IX als erteilt. Die Kündigung ist "erklärt", wenn sie dem schwerbehinderten Menschen gem. § 130 BGB zugegangen ist.
- Entsprechend der Legaldefinition des " 121 I BGB bedeutet "unverzüglich" auch im Rahmen des § 91 V SGB IX "ohne schuldhaftes Zögern". Schuldhaft ist ein Zögern dann, wenn ein Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist. Dabei ist nicht alleine die objektive Lage maßgeblich. Solange derjenige, dem unverzügliches Handeln abverlangt wird, nicht weiss, dass er die betreffende Rechtshandlung vornehmen muss, oder mit vertretbaren Gründen annehmen kann, er müsse sie noch nicht vornehmen, liegt kein "schuldhaftes" Zögern vor.
- Es besteht eine Obliegenheit des Arbeitgebers, sich beim Integrationsamt zu erkundigen, ob es innerhalb der Frist des § 91 III 1 SGB IX eine Entscheidung getroffen hat, weil andernfalls gem. § 91 III 2 SGB IX die Zustimmung fingiert wird. Der Arbeitgeber braucht hingegen nicht darauf zu dringen, gegebenenfalls auch über den Inhalt der getroffenen Entscheidung schon vorab in Kenntnis gesetzt zu werden. Zu einer solchen Auskunft ist das Integrationsamt nicht verpflichtet. Die Bekanntgabe der Entscheidung hat vielmehr durch Zustellung zu erfolgen (§§ 88 II, 91 I SGB IX). Teilt das Integrationsamt lediglich mit, dass es innerhalb der Frist eine Entscheidung getroffen hat, nicht aber, wie entschieden wurde, darf der Arbeitgeber die Zustellung des entsprechenden Bescheids eine - nicht ganz ungewöhnliche - Zeit lang abwarten.
AGG
Bewerbungsverfahren, AGG-Hopping, Indizwirkung bei Nichteinhaltung der Vorschriften zum Schutz schwerbehinderter Menschen, Anforderungen an die Widerlegung der Benachteiligung, Höhe der Entschädigung
LAG Ba-Wü Urt.v. 16.09.2011 -12 Sa 9/10-
1.
Kläger war objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet. Er hat sich ernsthaft um die Stelle bemüht und beworben. Angesichts der dauernden Arbeitslosigkeit des Klägers und der Vielzahl seiner Bewerbungen ist es abwegig, eine ernsthafte Bewerbungsabsicht des Klägers in Zweifel zu ziehen.
2.
Auch die Vielzahl der vom Kläger eingeleiteten Entschädigungsverfahren lässt nicht ernsthaft darauf schließen, dass sich der Kläger nicht ernsthaft um die Stelle bemüht hat. Die große Anzahl der Entschädigungsverfahren spricht vielmehr dafür, dass dieser gerechtfertigt die Unkenntnis der Stellenanbieter für eine gesetzlich richtige Besetzung der Stelle nicht hinzunehmen gedenkt.
3.
Nach § 22 AGG wird vermutet, dass eine Benachteiligung des Bewerbers vorliegen kann, wenn entsprechende Indizien dafür vorliegen, dass der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde:
- entgegen § 82 S.1 SGB IX hat der Arbeitgeber es versäumt, die offene Stelle der Agentur für Arbeit zu melden und diese hierdurch einer größeren Zahl von arbeitssuchenden Schwerbehinderten zugänglich zu machen (so auch BAG Urt.v. 12.09.2006 -9 AZR 807/05).
-Entgegen § 82 Satz 2 SGB IX kam der Arbeitgeber seiner Pflicht nicht nach, gerade dem schwerbehinderten Bewerber die Möglichkeit zu eröffnen, sich persönlich vorzustellen (BAG Urt.v. 12.09.2006 -9 AZR 807/05; Urt.v. 21.07.2009 -9 AZR 431/08-). Ob der Arbeitgeber dies bewusst oder unbewusst gemacht hat, ist für den Gesetzesverstoß ohne Belang. Erschwerend kommt hinzu, dass der Schwerbehinderte der einzige Bewerber mit vollständigen Unterlagen war und dennoch nicht zum Vorstellungsgespräch geladen wurde.
4.
Der Arbeitgeber konnte die begründete Vermutung, die Nichteinladung beruhe nicht auf der Schwerbehinderung des Bewerbers nicht durch entgegenstehende Tatsachen entkräften.
Der Einwand, man habe keinen Arbeitslosen einstellen wollten, knüpft letztlich ebenfalls an den Umstand der Schwerbehinderung.
Auch die besseren Noten der anderen Bewerber schließen ebenfalls nicht aus, dass der Arbeitgeber den Schwerbehinderten wegen seiner Schwerbehindung nicht eingeladen hat. Von vornherein hat der Arbeitgeber deutlich gemacht, sich nicht nur an Examensnoten orientieren zu wollen.
Auch der Umstand, dass der Arbeitgeber bereits mehr Schwerbehinderte beschäftigt, als sie nach § 71 Abs. 1 SGB IX musste, ändert nichts an der Vermutung, der Schwerbehinderte sei bei der Bewerbung benachteiligt worden.
5.
Eine Entschädigung des benachteiligten Bewerbers von € 4. 000,- erscheint angemessen Diese berücksichtigt sowohl Art und Schwere der Benachteiligung des Behinderten, wie auch den Sanktionszweck der Entschädigung (BAG Urt. v. 17.08.2010 - 9 AZR 839/08). Die Höhe des Entschädigungsbetrages muss auch sicherstellen, dass der Arbeitgeber zukünftig Schwerbehinderten gegenüber eine aufgeschlossenere Haltung einzunehmen gedenkt.
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